Wie kann man das Unsichtbare, das Vergessene sichtbar machen? Die Künstlerin Roshanak Zangeneh hat sich bei ihrer Installation in der Deutschen Evangelischen Kirche in Boulak für die Farbe Weiß entschieden, um an in Vergessenheit geratene Frauenfiguren aus der Bibel zu erinnern – genauer: für Weiß auf Weiß! In der Tat man muss man schon sehr nah an die fast lebensgroß dargestellten Frauen herantreten, deren schwungvolle, kräftige Linien in den weißen Stoff geprägt sind, um überhaupt etwas zu erkennen. Das Flüchtige, Schemenhafte der Figuren sorgt dafür, dass sie sich nur dem aufmerksamen Betrachter offenbaren. Roshys Installation stellt die Frauen in den direkten kommunikativen Austausch mit den ausschließlich Männer darstellenden Kirchenfenstern, die neben Jesus vier Apostel und die vier Evangelisten zeigen.
Die Gottesdienstbesucher, die am 31. Oktober in die Kirche kamen, um das Reformationsfest zu feiern, wurden unmittelbar Teil der von Roshy geplanten Installation. Die Kirchenbänke sind derzeit strahlenförmig um einen achteckigen Mittelpunkt herum angeordnet, was den Kirchenraum ganz neu und ungewohnt wirken lässt. Auf diese Weise kamen die Kirchenbesucher leicht miteinander, aber ganz unwillkürlich auch mit den unterhalb der Fenster angebrachten Frauenfiguren in Kontakt: Egal wo, man befindet sich eben „vis-à-vis“, so wie Roshy ihre Installation genannt hat.
Der Gottesdienst an diesem Abend war stark musikalisch geprägt, wofür die aus Fürstenfeldbruck angereiste Organistin Kirsten Ruhwandl sorgte. Ihr umfangreiches Programm, das Werke von Pachelbel, Bach und Mendelssohn-Bartholdy umfasste, ließ den Besuchern Zeit zum Zuhören und zur Besinnung. Abgerundet wurde der Gottesdienst durch Texte, die nur vom Luther, sondern die auch an zwei starke Frauen aus der Reformationszeit erinnerten: an die Theologin Marie Dentière und die Reformatoren-Gattin Wibrandis Rosenblatt.

Nach dem Gottesdienst eröffneten Pfarrerin Nadia El Karsheh und die Künstlerin Roshanak Zangeneh ganz offiziell die Installation, die während des Gottesdienstes zweifellos schon ihre Wirkung auf die Besucher entfaltet hatte. In einem Interview erklärte Roshy die Grundideen ihrer Installation, die nicht zufällig am Ende des Kirchenjahres gezeigt wird: Dies ist einerseits eine Zeit der Selbstbesinnung und des Gedenkens, aber auch des Aufbruchs und der Ausrichtung auf etwas Neues. Wer Zeit und Lust hatte, konnte anschließend mit der Künstlerin ins Gespräch kommen und die Exponate bzw. die gesamte Installation noch einmal auf sich wirken lassen.
Nach dieser Veranstaltung, die auf so vielfältige Weise anregend war, habe ich die Kirche ganz erfüllt verlassen und gedacht: So schön – gerne bald wieder!
Die Ausstellung ist noch bis zum 25. November in der Deutschen Evangelischen Kirche in Boulak
(32, El-Galaa-Street) zu sehen, die Finissage wird mit dem Gottesdienst zum Ewigkeitssonntag stattfinden. Öffnungszeiten: Täglich außer freitags von 16.00 bis 17.30 Uhr, am 18. November um 19.00 anlässlich der Andacht zum Buß- und Bettag. Weitere Termine können unter 01097457879 vereinbar werden.
Autorin: Cordula Sulzer
