Eindrücke vom Kirchentag in Berlin
Von Stefan El Karsheh
Als ich am Donnerstag in Berlin landete, war der Kirchentag bereits in vollem Gange. Ich bin mit einem mulmigen Gefühl nach Berlin gekommen. Der Breitscheitplatz, der Anschlag in Manchester und der Kirchentag als christliche Großveranstaltung – was hätte hier nicht alles passieren können? Doch als ich erstmal Quartier bezogen hatte bei unserer früheren Kirchenvorsteherin, Julia Gerlach und ihrem Mann Kilian Baelz, fühlte ich mich gleich gut aufgehoben. Und so machte ich mich auf den Weg, um einzutauchen in diese eigene bunte (vor allem orangene) Welt des 36. Deutschen Evangelischen Kirchentages (DEKT). Diesmal unter dem Motto „Du siehst mich“ (1.Mose 16,13), ein Satz der verstoßenen Hagar und ihrem Sohn Ismael. Nach islamischer Tradition ist dieser erste Sohn Abrahams der Urahn des Islam. Auf den Postern zierten zwei Kulleraugen auf orangenem Untergrund den zum Smiley gezogenen Text. Das erinnerte mich an einen „Emoji“ oder an das Gesicht der Maus von der „Sendung mit der Maus“.
Dazu ein Programmbuch so dick wie eine Paperbackausgabe des Neuten Testaments mit einer Vielzahl von politischen, geistlichen, kulturellen und natürlich musikalischen Angeboten an vielen Orten, nicht nur in Berlin. Denn das Besondere an diesem Kirchentag war der Brückenschlag zu Wittenberg (gut 1 Stunde Zugfahrt von Berlin entfernt), wo auch der Abschlussgottesdienst stattfand, und zu vielen anderen Orten der Reformation (z.B. Erfurt, Magedeburg und Eisleben), die auch Programm boten für diesen Reformations-Kirchentag „auf dem Weg“. Ich bin aus Kairo angereist, um auf dem „Markt der Möglichkeiten“ gemeinsam mit der koptisch-evangelischen Kirche (Nilsynode) einen Stand zu betreuen und Auskunft zu geben über Protestantismus in Ägypten. Dazu hatte ich Plakate unserer Kalligraphie-Ausstellung im Gepäck, mit denen wir die kahlen Wände des Standes dekoriert haben. Vielen Besuchern war gar nicht klar, dass mit „Kopten“ nicht nur Orthodoxe gemeint waren, sondern dass es verschiedene ägyptische Konfessionen gibt. Freitag mittag um 12.15 Uhr erreichte uns dann die furchtare Nachricht von dem Attentat auf koptische Pilger auf dem Weg zu einem Kloster in der Region El Minya. Der Großsheikh der Al Azhar, Ahmad al-Tayyeb, saß gerade mit Thomas de Maizière zu einem Gespräch in der Messehalle 20, und gerade hatten wir um 12.00 Uhr auf dem gesamten Kirchentag eine Schweigeminute für die über 10.000 Flüchtlinge gehalten, die auf ihrer Flucht vor allem auf dem Mittelmeer gestorben sind. 28 Tote, darunter viele Kinder und Jugendliche. Was für eine brutale und herzlose Tat, und dann der Kirchentag „Du siehst mich?“. Der für die koptische Gemeinde im Norden Deutschlands zuständige Bischof Anba Damian wurde vor dem Schlussgottesdienst auf der Bühne in Wittenberg zu dieser Tat befragt. „Verlieren die koptischen Familien nicht ihren Glauben angesichts solch schrecklicher Erlebnisse?“ Bischof Damian antwortete sinngemäß: Nein, die Familien suchen noch mehr Halt in ihrem Glauben. Sie kommen in die Kirchen und beten. Sie glauben fest, dass ihre Toten bei Gott sind, das gibt ihnen Kraft und tröstet sie.
Für mich hat dieser Kirchentag damit sein eigentliches Thema erhalten: Es geht um das Leben angesichts von Terror und Gewalt, angesichts von religiöser Vielfalt und Unterschiedenheit – und mit dem Motto der Hagar besonders um das Verständnis und das Zusammenleben mit den Muslimen. Das hätte den Kirchentag noch mehr prägen können, hier hätte er noch klarere Zeichen setzen können. Doch ein Abend, es war an diesem Freitagabend, an dem immer die Feierabendmahle des Kirchentages stattfinden, hat dafür ein eindrückliches Beispiel gegeben: In der Messehalle 12 feierten wir ein Fest der Verschiedenheit, zu dem über 1500 Besucher kamen. Begleitetet durch das interreligiöse Musikerensemble Trimum beteten und sangen Juden, Muslime und Christen gemeinsam, jeder in seiner Tradition: Ein Rabbi sang die Liturgie des Shabbats, eine muslimische Gruppe betete zum Vorabend des Ramadan, und wir Christen empfingen das Feierabendmahl. Eingesetzt durch Pfarrer Axel Matyba, unserem Vorgängerkollegen in Kairo. In diesen zwei Stunden haben wir unsere Unterschiede deutlich gespürt und gesehen, und trotzdem haben wir einander wertschätzend wahrgenommen und Gemeinsamkeiten entdeckt. Dies war das Zeichen, das wir an diesem Tag bei aller der Trauer und Ohnmacht brauchten.
Der Kirchentag endete am 28.Mai in Wittenberg auf den Elbwiesen, Gott sei Dank, ohne Vorkommnisse (sogar das Pokalendspiel am Samstag im Olympiastadion verlief friedlich). Den Schlußpunkt setzte Ezbischof Thabo Makgoba, der Nachfolger von Desmond Tutu in Südafrika, mit einem deutlichen Apell: Er formulierte in Anlehnung an Martin Luther King seinen Traum von einer Generation, einer neuen Jugend, die aufbricht, um der Welt ein friedlicheres und gerechteres Angesicht zu geben. Auf Wiedersehen, lieber DEKT, bis zum 19.-23. Juni 2019 in Dortmund! Du siehst mich!